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Raum hören, Raum fühlen – warum Akustik mehr ist als Schallschutz

Unsere Wahrnehmung von Räumen wird oft stärker von der Akustik geprägt, als wir glauben. Geräusche beeinflussen nicht nur, wie wir einen Raum erleben, sondern auch unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz. Als Interior Designerin und Psychologin weiß ich: Akustik ist weit mehr als nur eine Frage des Schallschutzes. Sie betrifft ebenso die individuellen Bedürfnisse der Menschen, die den Raum nutzen, und spielt eine zentrale Rolle für das Wohlbefinden.

In diesem Blogbeitrag möchte ich verdeutlichen, warum Akustik mehr ist als eine rein technische Herausforderung. Sie betrifft den physikalischen, funktionalen und psychologischen Komfort (vgl. Steidle & Janneck, 2021) eines Raumes und erfordert eine durchdachte Gestaltung, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.

Nutzerzentrierte Akustik – unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Bedürfnisse

Ob im Büro, im Co-Working-Space oder im Homeoffice – der Raum wird von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Zielen und Arbeitsweisen genutzt. Aus psychologischer Perspektive ist es entscheidend, diese Nutzertypen im Raum zu differenzieren:

  • Fokusarbeiter:innen benötigen Stille oder zumindest eine Umgebung mit minimalen akustischen Reizen, um konzentriert zu arbeiten.
  • Kollaborateur:innen suchen den Austausch, spontane Gespräche und kreativen Input – Geräusche sind hier Teil der Kommunikation.
  • Führungskräfte benötigen häufig beides: Rückzug für strategische Planung sowie Raum für Austausch und Besprechungen.

Für ein durchdachtes Interior Design bedeutet das: Akustiklösungen müssen flexibel und differenziert sein. Eine Einheitslösung kann diesen sehr unterschiedlichen Bedürfnissen nicht gerecht werden.

Lärm ist nicht gleich Lärm: Akustik als subjektives Erleben

Was als störend empfunden wird, hängt stark von individuellen Wahrnehmungsmustern und psychologischen Faktoren ab. Die Lärmwirkungsforschung zeigt:

„Das Erleben von Lärm ist kein physikalisches, sondern ein psychologisches Phänomen“ (Miedema & Vos, 1998).

Drei zentrale psychologische Einflussfaktoren sind:

  1. Kontrolle über den Lärm
    Studien zeigen: Wenn Menschen das Gefühl haben, Einfluss auf die Geräuschquelle zu haben (z. B. Fenster schließen, Lautstärke regeln), empfinden sie dieselben Geräusche als deutlich weniger störend (Evans & Johnson, 2000).
  2. Erwartungshaltung und Gewöhnung
    Wird ein Raum beispielsweise als „Kreativfläche“ kommuniziert, werden Hintergrundgeräusche eher akzeptiert als in einem klassisch stillen Einzelbüro. Erwartungen prägen unsere Reaktion auf Reize (Clark & Stansfeld, 2007).
  3. Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfilter
    Laut dem Modell der Reizüberflutung (Milgram, 1970) versuchen Menschen in reizintensiven Umgebungen, Informationen aktiv auszublenden – ein Mechanismus, der auf Dauer ermüdend ist.
    Gleichzeitig beschreibt das Konzept der selektiven Aufmerksamkeit, wie wir Reize filtern, um uns auf eine Aufgabe zu konzentrieren (Broadbent, 1958). Akustiklösungen müssen also helfen, die kognitive Belastung durch Reizverarbeitung zu minimieren.

Von der Physik zur Psychologie: Komfort durch gezielte Akustikplanung

Im vorherigen Blogbeitrag habe ich die drei Komfortdimensionen nach Steidle & Janneck (2021) erläutert. Auf die Akustik im Raum übertragen bedeutet dies:

  • Physikalischer Komfort: Minimierung störender Lärmquellen, z.B. durch Schalldämmung & Absorptionsmaterialien
  • Funktionaler Komfort: Akustik angepasst an Nutzungsszenarien, z.B. durch Raumzonierung (Besprechung vs. Einzelarbeit)
  • Psychologischer Komfort: Gefühl von Privatheit, Kontrolle und Geborgenheit im Raum z.B. durch flexible Trennwände, Auswahl an Arbeitsplätzen mit unterschiedlichen akustischen Bedingungen, gezielter Einsatz von Materialien wie Holz & Pflanzen

Besonders der psychologische Aspekt wird oft unterschätzt: Schlechte Akustik kann Stress auslösen, das Gefühl von Überforderung verstärken und das Bedürfnis nach Rückzug unterdrücken (Sundstrom et al., 1994).

Was sagt die Forschung? Einblicke in psychologische Modelle und Forschungsprojekte

Wissenschaftliche Studien zeigen klar: Die Gestaltung akustischer Bedingungen beeinflusst unsere mentale Verfassung.

  • Reizüberflutung und mentale Erschöpfung
    Nach Milgram (1970) und Kaplan & Kaplan (1989) führen dauerhafte akustische Reize zu einem „Overload“, der kognitive Ressourcen verbraucht. Menschen können sich schlechter konzentrieren, fühlen sich schneller gestresst.
  • Lärm als sozialer Stressor
    Die Studie von Evans & Johnson (2000) zeigt, dass dauerhafte Hintergrundgeräusche den Cortisolspiegel erhöhen und so die Stressbelastung messbar steigern.
  • Privatheit als psychologisches Grundbedürfnis
    Westin (1967) definiert Privatheit als „Kontrolle über den Zugang zu sich selbst“. Akustische Maßnahmen wie Schallschutzpaneele, Trennwände oder akustisch gedämpfte Zonen fördern dieses Gefühl – ein zentraler Hebel für psychologischen Komfort.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat in mehreren Forschungsprojekten untersucht, wie die akustische Umgebung am Arbeitsplatz die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden von Mitarbeitenden beeinflusst. Einige zentrale Ergebnisse, die für die nutzerzentrierte Akustikplanung von Bedeutung sind, lauten:

  • Lärm und Leistungsfähigkeit: Lärm beeinträchtigt die Konzentration und kognitive Leistung. Insbesondere bei Aufgaben, die hohe Aufmerksamkeit erfordern – wie Lesen oder komplexes Denken – kann unangemessene Geräuschkulisse die Leistung negativ beeinflussen.
  • Subjektive Wahrnehmung von Lärm: Lärm wird individuell unterschiedlich wahrgenommen. Einige Menschen können mit Hintergrundgeräuschen gut arbeiten, während andere absolute Ruhe benötigen, um sich zu konzentrieren.
  • Wechselwirkungen zwischen Akustik, Raumklima und Beleuchtung: Diese drei Faktoren beeinflussen das allgemeine Wohlbefinden und die Produktivität. Ein ausgewogenes Zusammenspiel sorgt für eine angenehme Arbeitsumgebung und fördert die kognitive Leistungsfähigkeit.
  • Rückzugsräume für fokussiertes Arbeiten: Studien empfehlen, Rückzugsräume oder ruhigere Bereiche für konzentriertes Arbeiten zu schaffen. Gleichzeitig sollte es flexiblere, lautere Zonen für kreative Zusammenarbeit geben, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Diese Erkenntnisse belegen, wie wichtig eine gezielte, flexible Akustikgestaltung ist, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingeht und das Wohlbefinden sowie die Produktivität am Arbeitsplatz steigert.

Gestaltungsansätze aus der Praxis

Wie kann Interior Design konkret auf diese Bedürfnisse an die Akustik reagieren? Einige bewährte Ansätze:

  • Zonierung durch Materialwechsel: Teppiche, Akustikpaneele oder begrünte Wände sorgen nicht nur für Schallschutz, sondern erzeugen akustische Inseln, die unterschiedlichen Tätigkeiten gerecht werden. Räume für Fokusarbeit benötigen zum Teil andere Materialien als Meetingbereiche.
  • Materialwahl mit psychologischer Wirkung: Holz, Stoff, Pflanzen – sie dämpfen nicht nur den Schall, sondern fördern das emotionale Erleben von „Wärme“ und „Ruhe“.
  • Mobile Elemente zur Flexibilisierung: Akustikvorhänge, Raumtrenner, Teppiche und Filzpaneele ermöglichen individuelle Anpassung – wichtig für wechselnde Tätigkeiten.
  • Individuelle Steuerbarkeit: Räume, in denen Nutzer:innen über die akustische Situation mitentscheiden können (z. B. durch schließbare Türen, White Noise oder Headsets), reduzieren das subjektive Stressempfinden erheblich (vgl. Evans & Johnson, 2000).
  • Rücksicht auf Raumgeometrie: Nicht nur Materialien, sondern auch Raumhöhe, -form und Einrichtung beeinflussen den Schall. Runde Räume oder harte, glatte Flächen können unerwünschte Echoeffekte erzeugen.
  • Akustikplanung als Teil der Bedürfnisanalyse: Jedes Projekt beginnt mit der Frage: Wer nutzt den Raum? Wie wird er genutzt? Und wie ist das Gefühl in diesem Raum?

Fazit: Gute Akustik beginnt mit Zuhören – im doppelten Sinne

Wenn wir die Raumakustik nur als technischen Parameter verstehen, verschenken wir enormes Potenzial. Die Akustik eines Raumes ist kein Nebenschauplatz, sondern ein zentrales Element des Interior Designs mit großer Wirkung auf unser psychisches Wohlbefinden. Sie beeinflusst nicht nur, was wir hören, sondern auch, wie wir denken, arbeiten und uns fühlen. Akustik kann Sicherheit, Rückzug, Konzentration und Austausch fördern – oder genau das Gegenteil bewirken. Gerade in Zeiten zunehmender Reizüberflutung durch ständige Erreichbarkeit ist die gezielte akustische Gestaltung Ausdruck von Achtsamkeit und Wertschätzung gegenüber den Nutzenden.

Wenn wir Raumakustik aus psychologischer Perspektive gestalten, können wir Räume schaffen, die leise stark sind – und die individuellen Bedürfnisse ihrer Nutzer:innen ernst nehmen.

Eine nutzerzentrierte Akustikberatung ist deswegen auch Teil des Leistungsangebotes bei studio FOS – denn Räume müssen sich an die Menschen anpassen, nicht umgekehrt. Nehmen Sie dazu gerne Kontakt auf, wenn Sie sich beraten lassen möchten.

Quellen (Auswahl)